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Der Untergeher / Leseproben

... Er hat immer Bücher gelesen, in welchen von Selbstmördern die Rede ist, in welchen von Krankheiten und Todesfällen die Rede ist, dachte ich, im Gasthaus stehend, in welchen das Menschenelend beschrieben ist, die Ausweglosigkeit, die Sinnlosigkeit, die Nutzlosigkeit, in welchen alles immer wieder verheerend und tödlich ist. Deshalb liebte er Dostojevskj und alle seine Nachfolger über alles, überhaupt die russische Literatur, weil sie die tatsächlich tödliche ist, aber auch die deprimierenden französischen Philosophen. Am liebsten und eindringlichsten las er medizinische Schriften und immer wieder führten ihn seine Wege in die Kranken- und Siechenhäuser, in die Altersheime und in die Totenhallen. Diese Gewohnheit hatte er bis zuletzt gehabt, obwohl er die Krankenhäuser und die Siechenhäuser fürchtete, die Altersheime und Totenhallen, war er doch immer wieder in diese Krankenhäuser und Siechenhäuser und Altersheime und Totenhallen hingegangen. Und ging er nicht in Krankenhäuser hinein, weil es ihm nicht möglich gewesen war, so las er Schriften oder Bücher über Kranke und und über Krankheiten und Bücher oder Schriften über Sieche, wenn er keine Gelegenheit hatte, in Siechenhäuser hineinzugehen oder las Schriften und Bücher über Alte, wenn er nicht in Altersheime gehen konnte und Schriften und Bücher über Tote, wenn er keine Gelegenheit hatte, in Totenhallen zu gehen.


... Wie immer, übertrieb ich auch jetzt und es war mir vor mir selbst peinlich, Wertheimer aufeinmal als den Quälgeist seiner Schwester bezeichnet zu haben, so, dachte ich, gehe ich immer gegen Andere vor, ungerecht, ja verbrecherisch. An dieser Ungerechtigkeitseigenschaft habe ich immer gelitten, dachte ich.


... Im Grunde war dieser Weg nach Traich ein deprimierender und wird doch, wie ich immer wieder dachte, ein zweckloser sein. Oder wird doch nicht ganz so zwecklos sein, wie ich im Augenblick dachte, dachte ich und ging noch schneller auf Traich zu. Das Jagdhaus kannte ich, es hat sich nichts verändert, war meiner erster Eindruck, mein zweiter, daß es ein ideales Gebäude für einen Menschen sein müsse, wie Wertheimer, aber dann doch niemals das ideale Gebäude für ihn gewesen war, ganz im Gegenteil. Wie auch mein Desselbrunn für mich niemals das ideale, sondern das Gegenteil gewesen ist und ist, wie ich dachte, und wenn auch alles den Anschein hatte, als sei Desselbrunn für mich (und meinesgleichen) ideal. Wir sehen ein Gebäude und glauben, es ist für uns (und für unseresgleichen) ideal und es ist überhaupt nicht ideal für unsere Zwecke und für die Zwecke von Unseresgleichen, dachte ich. Wie wir auch immer einen Menschen sehen als den für uns idealen, während er alles ist, nur nicht ideal für uns, dachte ich.


... Möglicherweise, so der Franz, kommt Wertheimers Schwester nach Traich, um Traich zu verkaufen. Das glaube ich nicht, sagte ich, ich könne mir absolut nicht vorstellen, daß die Duttweiler Traich verkaufe, obwohl ich dachte, daß es durchaus möglich sei, daß sie an einen Verkauf von Traich denke, aber ich sagte zum Franz nicht, was ich dachte, ich sagte ganz deutlich, nein, an das glaube ich nicht, daß die Duttweiler Traich verkauft, daran denke ich wirklich nicht. Ich wollte den Franz beruhigen, der sich naturgemäß Sorgen machte, seine Lebensstellung zu verlieren. Ohne weiteres ist es möglich, daß Duttweiler, Wertheimers Schwester, nach Traich kommt und Traich verkauft, möglicherweise auf schnellstem Wege, dachte ich, sagte aber zum Franz, ich sei überzeugt, daß Wertheimers Schwester, die Schwester meines Freundes, betonte ich ausdrücklich, Traich nicht verkauft, die haben soviel Geld, die Duttweiler, sagte ich zum Franz, daß sie es nicht notwendig haben, Traich zu verkaufen, während ich dachte, gerade weil die Duttweiler soviel Geld haben, denken sie vielleicht daran, Traich ganz einfach auf dem schnellsten Weg abzustoßen, sie verkaufen Traich sicher nicht, sagte ich und dachte, sie verkaufen Traich vielleicht sogar sofort und ich sagte zum Franz, er könne sicher sein, daß sich hier in Traich nichts ändere, während ich dachte, in Traich wird sich wahrscheinlich alles ändern.

 
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