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Felix Philipp Ingold

Felix Philipp Ingold, Jahrgang 1942, Dr. phil., Studium der Slawistik, der Allgemeinen Geschichte und Philosophie an den Universitäten Basel und Paris (Sorbonne). Lehrbeauftragter an der ETH Zürich. Diplomatischer Dienst in Moskau (UdSSR?). Bis 2005 ordentlicher Professor für Kultur- und Sozialgeschichte Russlands an der Universität St. Gallen. Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Zahlreiche Publikationen und Preise.


'Felix Philipp Ingold | 20. April 2009 |'
Rezension (Auszug): “Pasternaks gewaschener Roman” von Iwan Tolstoi

“Pasternaks gewaschener Roman” heisst das neue Buch von Iwan Tolstoi. Der russische Autor Tolstoi belegt mit bisher unbekanntem Archivmaterial den erbitterten Kampf um “Doktor Schiwago”, für den Boris Pasternak 1958 den Literatur-Nobelpreis hätte erhalten sollen. “Der bisher eher monokausal erklärte Fall ist viel komplexer als gedacht”, stellt Felix Philipp Ingold in seiner Rezension fest.

Der “Fall Pasternak” ist als ein literaturpolitischer Skandal von internationaler Reichweite und, darüber hinaus, als ein singulärer Höhepunkt des Kalten Kriegs in Erinnerung geblieben. Protagonist und Gegenstand des Skandals war der Schriftsteller BorisPasternak * Борис Леонидович Пастернак, der am 23. Oktober 1958 für sein Gesamtwerk den Literatur-Nobelpreis zugesprochen erhielt, diesen jedoch unter massivem Druck der KPdSU? und des Allsowjetischen Schriftstellerverbandes “freiwillig” ablehnen musste.

Grund dafür war die Tatsache, dass kurz zuvor Boris Pasternaks grosser Roman “Doktor Schiwago” - in sowjetischer Optik das reaktionäre Machwerk eines “bösartigen Spiessers” - angeblich illegal ausserhalb der Sowjetunion erschienen war und nun gemäss der Parteizeitung Prawda für eine feindselige “politische Schmierenkomödie” missbraucht wurde.

Während der zuvor noch kaum bekannte Autor in Westeuropa und den USA gleichsam über Nacht zu einem Klassiker der Weltliteratur avancierte, verwies man ihn bei sich zu Hause in die Niederungen “literarischen Unkrauts” und verglich ihn sogar mit Schweinen, wie der Vorsitzende der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol * Комсомол und spätere KGB-Chef Wladimir Semitschastny in seiner berüchtigten „Schweinerede“:

“In jeder guten Herde hat es ein schwarzes Schaf. Unsere sozialistische Gesellschaft hat ihr schwarzes Schaf in der Person von BorisPasternak mit seinem verleumderischen Werk. Dieser Mann spuckt in das Gesicht unseres Volkes. Ein Schwein scheisst nie dorthin, wo es isst und niemals dorthin, wo es schläft. Man kann Pasternak nicht einmal mit einem Schwein vergleichen, denn ein Schwein würde nie das tun, was er getan hat. Pasternak hat dort hingeschissen, wo er gegessen hat.” ...


Felix Philipp Ingold
Die Faszination des Fremden - Eine andere Kulturgeschichte Russlands
2009, ca. 160 Seiten, ca. 62 Abb., Kart., ISBN 978-3-7705-4767-8, ca. EUR 19.90

Die russische Kultur, ein Fremdimport? Was an der russischen Kultur gemeinhin für typisch gehalten wird, erweist sich bei genauerem Hinsehen zumeist als Nachahmung. Das Fremde ins Eigene aufzunehmen, es produktiv anzuverwandeln und zu neuer, eigenartiger Synthese zu bringen, scheint dem russischen Selbstverständnis adäquater zu sein als die in Westeuropa verbreiteten Vorstellungen von Originalität und Priorität. Mit dieser ebenso faszinierenden wie provokanten These zeigt der bekannte Russlandexperte Felix Philipp Ingold die russische Kultur in neuem Licht.


Felix Philipp Ingold
Ein früher Prophet des sowjetischen Scheiterns
Aufsätze des Philosophen Simon Frank aus dem NZZ-Archiv

Der 1877 in Moskau geborene, 1950 im britischen Exil gestorbene Sozial- und Religionsphilosoph Simon Frank gehört – neben Nikolai Berdjajew, Sergius Bulgakow, Iwan Iljin, Nikolai Losski und anderen – zu den wortführenden russischen Intellektuellen, die im frühen 20. Jahrhundert zu Rang und Namen gekommen sind, nach der bolschewistischen Oktoberrevolution jedoch als reaktionäre «Idealisten» in Ungnade fielen und zur Emigration gezwungen wurden ...


Felix Philipp Ingold
Russische Wege
Geschichte - Kultur - Weltbild
2007, ca. 640 Seiten, ca. 180 s/w Abb., EUR 48,00, BN: 4423 3

Anhand russischer Verkehrswege und Wegvorstellungen bringt uns der Kulturhistoriker und Publizist Felix Philipp Ingold die Eigenart der russischen Zivilisation nahe. Nicht nur Pilger- und Handelsstrassen, Flusswege und Eisenbahnlinien, sondern auch geistige und geistliche Wege haben sich hier in besonderer Weise ausgeprägt. Ein umfassender, sich über 1000 Jahre erstreckender Durchgang durch die Kultur- und Ideengeschichte Russlands.

Das neue Buch des bekannten Kulturhistorikers und Publizisten Felix Philipp Ingold bietet am Leitfaden russischer Wege und Wegvorstellungen einen weit verzweigten, über 1000 Jahre sich erstreckenden Durchgang durch die Zivilisations- und Geistesgeschichte Russlands.

Im ersten Teil werden zunächst die geographischen und kulturellen Dimensionen des »russischen Raums« aufgezeigt, der sich in einem allmählichen Prozess innerer Kolonisierung herausgebildet und das Zarenreich zum größten Staatsterritorium der Erde gemacht hat. Die Geographie dieses Riesenreichs hat sich prägend auf dessen Geschichts- und Wirtschaftsentwicklung ausgewirkt, aber auch auf das nationale Selbstverständnis, die Staats- und Herrschaftsstruktur sowie auf das russische Verständnis von Schicksal, Arbeit, Heldentum, Heim und Heimat.

Im zweiten Teil werden die russischen Verkehrswege – Land- und Wasserstraßen, Pilger-, Reise- und Handelsrouten – in ihrer historischen Entfaltung und geographischen Spezifik vergegenwärtigt; unter anderem ist ausführlich die Rede von der bis heute andauernden »Wegmisere« und ihren unterschiedlichen Ursachen, von der legendären Trojka als Reisegefährt mit Wagen oder Schlitten, von nomadisierenden Landstreichern und Christusnarren, von der Einführung der Eisenbahn und deren Bedeutung für Russlands Industrialisierung. Die Rede ist aber auch von der Wegsymbolik in der russischen Kultur, vom Weg als Lebenslauf, vom Gang der Geschichte, vom Weg des Fortschritts oder vom leidvollen Weg des Korns als Daseinsmetapher.

Ergänzt wird die aus russischen Quellen und in russischer Optik erarbeitete Darstellung durch eine reichhaltige Auswahl von Text- und Bildbeispielen sowie durch zwei umfängliche Exkurse zur russischen Naturpoesie und Landschaftsmalerei. Der Schlussteil ist den Wegen nach Russland gewidmet – den ausländischen Einflüssen auf die russische Kulturentwicklung und der Herausbildung einer spezifischen »Nachahmungskultur« von dennoch eigenem Gepräge.

Verschlungene Wege
Felix Philipp Ingold erkundet Geschichte, Kultur und Weltbild Russlands

Manchem wird beim Gedanken an Russland als Erstes dessen Weite einfallen: Sibirien, die Taiga, Steppen, Flüsse, der Baikalsee. Dann mögen die Städte in den Blick geraten: Moskau natürlich, St. Petersburg, vielleicht Irkutsk, vielleicht Wolgograd und möglicherweise noch einige jener Städte, die irgendwann zum Zarenreich kamen: Baku, Taschkent, Samarkand. Sodann wird mancher an den Gulag denken, an die von Sträflingen gebauten Bahnlinien und Städte – und natürlich an Literatur und Literaten: Tolstoi, Dostojewski, Puschkin, Gorki möglicherweise, sogar Bunin. Vielleicht fällt einem die Figur des Oblomow ein. Man wird sich dessen unüberbietbarer Trägheit erinnern und vielleicht sagen: ach ja, die Russen. Womit man, in gewisser Weise, bei dem neuen Buch von Felix Philipp Ingold wäre ...


Hanns-Martin Wietek:

Nach dieser das Wissen, die Erfahrung und Forschungsergebnisse eines ganzen Lebens umspannenden Arbeit von Professor Ingold hat das berühmte Gedicht von dem russischen Dichter Fjodor Tjutschew »Verstehen kann man Russland nicht, / und auch nicht messen mit Verstand. / Es hat sein eigenes Gesicht. / Nur glauben kann man an das Land.« (sinngemäß nachgedichtet) keine Gültigkeit mehr. Man darf natürlich auch weiterhin an Russland glauben, aber wer will kann Russland jetzt auch verstehen.

Jeder der sich ernsthaft mit Russland – dem Russland der Vergangenheit oder der Gegenwart, aber auch der Zukunft – beschäftigt, oder gar darüber schreibt, muss zuerst dieses Werk gelesen und reflektiert (!!) haben; das gilt für Politiker wie Journalisten, für Wissenschaftler wie Wirtschaftler, für Liebhaber der russischen Literatur und Kunst wie für „nur“ Russlandfreunde.

Noch keiner vor Felix Ingold hat so neutral und wertfrei und zugleich umfassend Kultur und Mentalität der russischen Menschen beschrieben und aus den Hintergründen erklärt. Anders ausgedrückt: Er beschreibt, warum „die Russen“ so sind, wie sie sind.

Die berühmte „Russische Seele“ wird durch ihn entmystifiziert, aber deswegen nicht abgeschafft – nur weil wir uns vieles nicht erklären konnten, konnte sie mystisch sein; lieben (oder nicht lieben) darf man sie dennoch.

Dank Felix Ingolds literarischer Fähigkeiten ist aus seiner wissenschaftlichen Arbeit ein spannend zu lesendes Buch geworden, das jeder „trockenen“ Wissenschaftlichkeit entbehrt und dennoch höchsten Ansprüchen gerecht wird.


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© BücherWiki Community bzw. die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 20. April 2009