Hermann Hesse Über Karl May
| "Man lernt immer noch Neues kennen. Kürzlich las ich zum erstenmal zwei
Bücher eines Autors, der seit Jahrzehnten vielleicht der gelesenste in
Deutschland ist und den ich noch nicht kannte. Es ist Karl May. Von Leuten,
die etwas verstehen, war mir immer gesagt worden, er sei ein ganz übler
Macher und Schmierer. Es gab einmal eine Art von Kampf um ihn. Nun, ich
kenne ihn jetzt, und empfehle seine Bücher den Onkeln von Herzen, die der
Jugend Bücher schenken wollen. Sie sind phantastisch, unentwegt und
hanebüchen, von einer gesunden, prächtigen Struktur, etwas völlig Frisches
und Naives, trotz aller flotten Technik. Wie muß er auf die Jungen wirken!
Hätte er doch den Krieg noch erlebt und wäre Pazifist gewesen! Kein
Sechzehnjähriger wäre mehr eingerückt." |
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| "Ein Schriftsteller, den ich bis dahin nur dem Namen nach gekannt hatte,
obwohl er zu den gelesensten der Zeit gehört, wurde mir auf diesem Umweg
[Bücherzentrale für deutsche Kriegsgefangene] bekannt. Er stand immer wieder
auf den Wunschlisten der Gefangenen. Es ist Karl May. Ich erinnerte mich,
Buben meiner Bekanntschaft hatten für ihn geschwärmt, sonst aber fiel mir
nichts Rühmliches ein, das ich über ihn gewußt hätte, sondern lauter
Schlimmes. Er sei ein zweifelhafter Charakter und ein skrupelloser Macher
gewesen, ein richtig böser Bücherfabrikant, nichts von Ideal und heiligem
Feuer dahinter. Weiß Gott, woher ich das alles wußte, aber ich wußte es. Es
gab Schafe, und es gab Böcke, das war nun einmal so, und dieser Herr May
gehörte zu den Böcken. Jetzt, wo ich aus Neugierde endlich zwei Bücher von
ihm las, war ich ganz erstaunt. Er ist nämlich gar kein Macher, sondern von
einer geradezu verblüffend naiven Ehrlichkeit. Er ist der glänzendste
Vertreter eines Typs von Dichtung, der zu den ganz ursprünglichen gehört,
und den man etwa 'Dichtung als Wunscherfüllung' nennen könnte. In dicken
Büchern erfüllt er sich alle Wünsche, die das Leben ihm unerfüllt ließ, da
ist er mächtig, reich, geehrt, fast ein König, gebietet über treue mächtige
Verbündete, zeigt sich jedem Feind überlegen, tut Wunder an Kraft, der
Klugheit und des Edelmuts. Er rettet Verlorene, befreit Gefangene, stiftet
Frieden zwischen Todfeinden, bekehrt Sünder zum Glauben an das Gute,
schmettert verstockte Bösewichter nieder. Mit den knabenhaften,
kriegerisch-räuberischen Wünschen einer unverdorben naiven Natur sind
andere, kompliziertere verwachsen ? er will nicht nur stark und mächtig
sein, nicht nur unsäglich schlau und gewandt, sondern auch fabelhaft gut,
und so entstand der Held aller seiner Romane, der nur den Namen wechselt,
der aber stets dasselbe Wunschbild verkörpert. Daß er unter Güte dabei eine
europäisch-christliche Güte versteht, mit einem Einschlag von Nationalismus,
und daß er sich der Täuschung hingibt, die europäisch-christliche Moral sei
allen anderen ebenso überlegen wie die europäischen Schußwaffen den
primitiven der Naturvölker, das ist unwesentlich; auch hier ist er
gutgläubig, und geht auf sein Ziel mit einer beneidenswerten Unmittelbarkeit
los. Daß er ein großer Dichter sei, möchte ich nicht sagen, dazu ist seine
Sprache allzu schabloniert und der Flug seiner Seele zu eng. Aber er
vertritt, innerhalb unserer dürr und öde gewordenen Literatur, mit seinen
grellen, knalligen Werken einen Typus von Dichtung, der unentbehrlich und
ewig ist. Es ist nicht seine Schuld, daß den andern, 'besseren' Dichtern
dieser Zeit die Phantasie gebricht ? es ist die Schuld dieser anderen, wenn
ein Mann mit zweifelhaften Mitteln das erreicht, was ihnen mit ihren
feineren Mitteln unerreichbar blieb." |
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