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Indien Im Aufbruch

Karl-Julius Reubke
Indien im Aufbruch
Yatra Sutra - Experimente mit der Gewaltlosigkeit
Geleitwort von Rajagopal P.V.
Verlag Johannes M. Mayer
in jeder guten Buchhandlung! ISBN 3-932386-91-4

Buchbesprechung von Otto Ulrich

„Die Ursachen der Armut liegen in uns.“ – So eine der Grundlinien dieses, stetig erneut zum Staunen anregenden Buches, das, aber nur auf den ersten Blick, so indisch daherkommt. Julius Reubke hat durchaus und stets den „westlichen“ Leser im Blick, wobei dies nicht unbedingt geographisch gemeint ist. Aus dem wirkenden Gegensatz zwischen westlicher Lebensweise der Bedürfniserzeugung und deren Befriedigung – die längst weltweit anzutreffen ist – und einer, der Bhagavad Gita folgend, Bedürfnislosigkeit und Wunschverlöschung zieht das so facettenreich gestaltete Buch seine anhaltende Spannung. Aus diesem, die Welt erkennbar zerreißenden Spannungsverhältnis entwickelt der Autor eine eindringlich nachdenklich stimmende „Armutstheorie“, die sowohl für Indien wie für die übrige europäisierte Welt gilt – ohne das dadurch dieses engagierte und zum Engagement permanent einladende Buch zu einem theoretischen Buch würde: Im Gegenteil, lebensnah – die Hitze, der Schweiß, der Durst bei den über staubige indische Landstrassen führende Yatra Sutra, der Friedensmärsche, ist fast spürbar – geht es um den politischen Kampf der Ureinwohner Indiens, der Adivasis, es geht um einen Überlebenskampf, um Wasser, Wald und Erde, womit wieder, jetzt auf Indien bezogen, ein Prinzip erkennbar wird: Wird die Zukunft Indiens von der Weltbank, globalen Unternehmen und offenbar vielen korrupten Politikern bestimmt, oder gelingt es – und das gewaltfrei – eine politisch beeinflussende Landvolkbewegung auf die indischen Strassen zu bekommen? Eine Volksbewegung ganz dem Vorbild Gandhi folgend, die es also versteht, sich ihre verbrieften Rechte zurück zu erobern – dabei stets ausbalancierend, es kann schon im nächsten Dorf passieren, sich nicht durch platte Provokationen zu Gewaltreaktionen hinreißen zu lassen.

Mehr und mehr solidarisiert sich der Leser, es fällt schwer sich dem zu entziehen, mit den Adivasis, die, gleichwohl eine Minderheit, seit Jahrtausenden mit dem Wald gelebt und ihn gepflegt haben und nun ganz konkret lernen können, dass es doch eine Alternative zur Gewalt, zum Alkohol gibt:

Gewaltloser Widerstand gegen ungerechte Zustände einerseits, und die von lokalem Erfolg zum nächsten lokalen Erfolg erwachsende Erfahrung andererseits: Wenn wir uns zusammenschließen, gemeinsam unsere Forderungen erheben, gewaltfrei durch immer größer werdende Friedensmärsche auch die vielfach immer noch wegsehende neue indische Mittelschicht auf den drohenden, dann wohl unumkehrbaren Traditionsbruch in diesem von den Göttern gesegnetem „Mutter Indien“ aufmerksam machen können, dann hat Indien eine Zukunft gemäß ihrer eigenen spirituellen Ansprüche und potentiellen Kräfte, die noch schlummernd in seinem großen Bevölkerungspotential steckt – so zentriert der Autor die allgemeine Stossrichtung einer neuer sozialen politischen Bewegung – Ekta Parishad, „gemeinsames Forum“ – die nicht nur in Indien, mittlerweile auch in vielen Ländern der Welt, so auch in Deutschland, ihre Unterstützer, ihre Freunde und Initiatoren hat und auf eine wachsende Globalisierung der Solidarität setzt.

Julius Reubke porträtiert im täglichen Kampf an der Grenze des Mangels besonders einen Menschen heraus, der ganz in der Tradition Gandhis steht: Rajagopal, dieser junge, durchaus symphatisch wie charismatisch erscheinende, längst in Problemen und deren Bewältigung gestählte Mensch, der kein Volkspolitiker einer Partei sein möchte, aber doch „Volkspolitik“ betreibt, wenn er versucht den „Gandhiansmus“, dieses auf Frieden und Gewaltlosigkeit bauende Prinzip, Satyagraha, auf heutige Verhältnisse situativ zu übertragen: Kommen doch zu den alten Problemen der Korruption heute die technokratischen Machteinflüsse von Weltbank, globalen Unternehmen und westlich geschulten indischen Führungseliten.

Es ist ein Gewinn, quer durch das Buch, die Persönlichkeit von Rajagopal mehr und mehr kennen zu lernen, seinen sich stetig deutlicher profilierenden Aufstieg zu verfolgen, um damit, so scheint es, auch einen Blick in die Zukunft zu werfen: Rajagopal an der Spitze von Ekta Parishad wird in indischen politischen Zusammenhängen zunehmend ernster genommen, die Phasen des Verschweigens und lächerlich machens sind offenbar vorbei.

Ekta Parischad entscheidet indirekt Wahlen, hat inhaltlichen Einfluss auf Regierungsprogramme, die um ihre Wiederwahl bangenden Ministerpräsidenten zeigen sich konziliant, wenn es darum geht, Forderungen von Ekta Parishad, etwa wenn es um einen Dammbau, um neue Brunnen, um den Verzicht auf Industrieansiedlungen zugunsten ökologischer Projekte geht, auch nachprüfbar zu beachten. Aber reichen diese kleine Siege aus? Rajagopal macht eigentlich nicht Politik, wenn er mit Politikern verhandelt. Er weiß sehr wohl, dass die indische Regierung einige der Forderungen von Ekta Parishad gar nicht gegen den Druck der Weltbank, dem Internationalen Währungsfond, die multinationalen Unternehmen, die internationalen politischen Machtblöcke durchsetzen kann. Erst wenn sich das Volk durch eine echte Volksbewegung wie Ekta Parishad artikuliert und einen unmissverständlichen Druck auf die Regierung ausübt, kann diese sich auch gegen externe Einflüsse wehren.

So nebenbei gibt der Autor dem Leser die Chance, über die Tiefen des indischen Kastensystems dazu zu lernen - aber auch was den gesunden Tulsi-Tee von feurigen Samosa unterscheidet; er lernt den neuen Bundesstaat Chhattisgarh (etwas) kennen, erfährt noch mehr über die alte vedische Medizin, etwa die Siddha-Medizin, um dann immer wieder an den konkreten Nöten der Menschen in den Weiten Indiens nachdenklich zu werden: Hunger, Durst, Landlosigkeit, Dürre und Armut, um dann aber auch zu gestehen zu müssen, dass der materielle Reichtum im „Westen“ zutiefst mit geistiger Armut einhergeht.

„Die geistigen Mangelerscheinungen im Westen sind da, auch wenn wir die ihnen zugrunde liegende Armut (noch) nicht spüren.“

Ob die Adivasis mit einem Leben im Westen tauschen möchten, einem Leben in Angst, psychischem Druck und fehlendem Kontakt zu den Göttern mag, so der Autor, bezweifelt werden.

Den Landlosen in Indien bleibt die Hoffnung, auf sich verbessernde äußere Verhältnisse: ein grosser Yatra Sutra steht bevor. Am 2. Oktober 2007, zwei Jahre vor der nächsten Bundeswahl, startet eine große Aktion, ein neuer grosser Friedensmarsch: dreihundert Kilometer lang, durch drei Bundesländer, er wird zwei Wochen dauern, Tausende werden wohl mit marschieren. Alle sind willkommen, um Ekta Parishad zu einer machtvollen, gewaltfreien Volksbewegung zu machen – besonders die Freunde aus Europa sind dabei herzlich willkommen!


Janadesh 2007 - Indienreise 3.-20. Oktober 2007

Janadesh 2007
Der Marsch. Ein Weg zur Solidarität.
Indienreise 3.-20. Oktober 2007

Janadesh 2007 Der Marsch. Ein Weg zur Solidarität. Indienreise 3.-20. Oktober 2007

Diese Reise führt in ein noch vielen unbekanntes Gebiet des modernen Indiens, das für die Zukunft viel hoffnungsvolles in sich trägt. Durch die Reise wird die indische Volksbewegung Ekta Parishad (solidarischer Bund) unterstützt, die sich in einem großen Marsch mit 25.000 Menschen gewaltlos für das Überleben der Ärmsten einsetzt.

Ein zweiter Teil der Reise führt zu Bauern des bioRe-Projektes aufs Land, die biologisch-dynamisch Baumwolle anbauen und soziale Verantwortung und Ökologie erfolgreich mit Ökonomie verbinden.

"Ich möchte eine Einladung an jeden von Ihnen aussprechen. Der Marsch beginnt am 2. Oktober 2007, das ist Gandhis Geburtstag. – Ich glaube es gibt wirklich einen aktuellen Bedarf der Globalisierung der Solidarität. Nur durch eine wirkungsvolle Globalisierung der Solidarität wird es uns gelingen, der Globalisierung der Gewalt und der Armut ein Ende zu setzen." (Rajagopal P.V. in einer Ansprache 2005)


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