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Tag Der Armut

KLEINER MANN WAS NUN ?

... Pinneberg muesste nach Haus. Es waere gut, wenn er rasch nach Haus ginge, sicher wartet Laemmchen. Aber er bleibt hier stehen unter den Arbeitslosen, er macht ein paar Schritte, und dann bleibt er wieder stehen. Aeusserlich gehoert Pinneberg nicht zu ihnen, ist fein in Schale. Er hat den rotbraunen Winterulster an, den hat ihm Bergmann noch fuer achtunddreissig Mark gelassen, und den steifen schwarzen Hut, auch von Bergmann, er war nicht mehr ganz modern, die Krempe zu breit, sagen wir drei zwanzig, Pinneberg.

Also aeusserlich gehoert Pinneberg nicht zu den Arbeitslosen, aber innerlich... Er ist eben bei Lehnmann gewesen, beim Personalchef des Warenhauses Mandel, er hat sich dort um eine Stellung beworben, und er hat sie erhalten, das ist eine ganz einfache geschaeftliche Transaktion. Aber irgendwie fuehlt Pinneberg, dass er infolge dieser Transaktion, und trotzdem er nun gerade wieder Verdiener geworden ist, doch viel eher zu diesen Nichtverdienern gehoert als zu den Grossverdienern. Er ist einer von diesen, jeden Tag kann es kommen, dass er hier steht wie sie, er kann nichts dazu tun. Nichts schuetzt ihn davor.

Ach, er ist ja einer von Millionen, Minister halten Reden an ihn, ermahnen ihn, Entbehrungen auf sich zu nehmen, Opfer zu bringen, deutsch zu fuehlen, sein Geld auf die Sparkasse zu tragen und die staatserhaltende Partei zu waehlen.

Er tut es und er tut es nicht, je nachdem, aber er glaubt denen nichts. Gar nichts. Im tiefsten Innern sitzt es, die wollen alle was von mir, fuer mich wollen sie doch nichts. Ob ich verrecke oder nicht, das ist ihnen ja so egal, ob ich ins Kino kann oder nicht, das ist ihnen so schnuppe, ob Laemmchen sich jetzt anstaendig ernaehren kann oder zu viel Aufgegungen hat, ob der Murkel gluecklich wird oder elend - wen kuemmert das was?

Und die, die hier alle stehen im Kleinen Tiergarten, ein richtiger kleiner Tiergarten, die ungefaehrlichen, ausgehungerten, hoffnungslos gemachten Bestien des Proletariats, denen gehts wenigstens nicht anders. Drei Monate Arbeitslosigkeit und ade rotbrauner Ulster! Ade Vorwaerts - kommen! Vielleicht verkrachen sich am Mittwoch abend Jachmann und Lehmann, und ploetzlich tauge ich nichts. Ade! ...

1932 wurden diese Saetze veroeffentlicht. Der Roman "Kleiner Mann was nun?" von Hans Fallada (1893 - 1947) ging als "Arbeitslosenroman" in die Literaturgeschichte ein. Und heute, wo die moderne Sozialdemokratie ihr soziales Buendnis aufgeloest hat und der neoliberalen Rhetorik um den Hals faellt, sind Worte, die 1932 veroeffentlicht wurden, wieder brandaktuell.

geschrieben von tagderarmut

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© BücherWiki Community bzw. die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am September 18, 2006