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Vladimir Solovev

Vladimir Sergejevic Solov’ev (1853-1900): Philosoph, Theologe, Publizist und Dichter


Leben & Werk

siehe auch: BelkinDimitrij


Dort ein neuer (April 2007) Artikel
'''Solowjews Universalismus''' von '''Gerd Weidenhausen'''


Der Sinn der Liebe

Aus dem Russischen übersetzt von Elke Kirsten in Zusammenarbeit mit Ludolf Müller. Mit einer Einleitung von Ludwig Wenzler*) und einem Nachwort von Arsenij Gulyga.

Meiner Verlag für Philosophie
PhB? 373. 1985. L, 109 S. 0623-4. Kart. Euro 16,80

Solov’ev (1853-1900) gilt als »der erste christliche Denker, der den individuellen und nicht nur den Gattungssinn der Liebe zwischen Mann und Frau anerkannte« (Berdjajev). Der bedeutendste russische Philosoph des 19. Jahrhunderts sieht in der Unbedingtheit des leidenschaftlichen Verlangens der sinnlichen Liebe ein Geschehen der unbedingten Anerkennung des geliebten Menschen – das Fundament der Ethik.


Leonid Sytenko, Tatjana Sytenko
Wladimir Solowjow in der Kontinuität philosophischen Denkens
Novalis-Verlag Schaffhaseun/Schweiz, 1997, 680 Seiten

Eine Rezension: Wladimir Solowjow ist nicht tot, 22. Januar 2002
Rezensentin/Rezensent: Eike Grund aus Dietmannsried (Deutschland)

Ähnlich wie unter der Sonne von Puschkins Poesie die russische Literatur erblühte, so bestimmte das Schaffen Wladimir Solowjows die Entwicklung der russischen religiösen Philosophie. Daher widmen die Verfasser ihre Forschung ihm, Wladimir Solowjow, dessen Lebenswerk Sergei Bulgakow als "letztes Wort der Weltphilosophie und ihre höchste Synthese" charakterisiert hat.

Ausführlich beschäftigen sich die Autoren mit der Solowjowschen Sophiologie und legen sie auf originelle Weise aus. Die "Hagia Sophia", die "Meisterin aller Dinge", die "alles vermag" hat viele Facetten: Sie ist u.a. die Weltseele und die Mutter Erde, die die Menschheit vor einer Weltkatastrophe warnt.

Eine weitere Besonderheit des Buches besteht darin, dass die Autoren aufzeigen, wie entscheidend ihr eigener Lebensweg durch die Beschäftigung mit Solowjow geprägt und verändert wurde: Sie verloren ihre Posten als Philosophiedozenten in der Sowjetunion, weil sie ihren Studenten von der befreienden Lehre Solowjows und anderen Religionsphilosophen erzählten; doch indem sie den Weg zum Glauben fanden, wurde ihnen eine geistig-geistliche Bereicherung zuteil, die sie in den folgenden schweren Jahren vor Verbitterung bewahrte.

2 Beiträge der Autoren des Buches auf einem Symposion über Vladimir Solov’ev


Wladimir Solowjew
Kurze Erzählung vom Antichrist
ISBN 978-3-87904-282-1, Broschur, 128 Seiten
EUR 11,80 (D), sFr 22,20, EUR 12,20 (A)

Der bekannteste Text des Religionsphilosophen Wladimir Solowjew liegt hier in der einzigen verfügbaren Ausgabe in deutscher Sprache vor.

Auszug aus Kurze Erzählung vom Antichrist - von Wladimir Solowjow (Dostoevskij)

... In dieser Zeit war unter den wenigen gläubigen Spiritualisten ein bemerkenswerter Mensch viele nannten ihn einen Übermenschen —, der gleich weit entfernt war von der Kindlichkeit des Verständnisses wie von der des Herzens. Er war noch jung, aber dank seiner hohen Genialität hatte er mit seinen kaum dreiunddreißig Jahren durch seine philosophische, schriftstellerische und soziale Tätigkeit bereits eine bedeutende Berühmtheit erlangt. Aus dem Bewußtsein der ihm innewohnenden großen Geisteskraft war er stets überzeugter Spiritualist, und sein klarer Geist wies ihn immer auf die Wahrheit dessen, woran man glauben muß: an das Gute, an Gott, an den Messias. Daran glaubte er, aber er liebte nur sich allein. Er glaubte an Gott, aber ohne es zu wollen und ohne sich darüber klar zu sein, zog er in der Tiefe seiner Seele sich Ihm vor. Er glaubte an das Gute, doch das alles sehende Auge der Ewigkeit wußte, daß dieser Mensch sich vor der Macht des Bösen beugen werde, sobald sie ihn erkaufen würde — nicht mit dem Trug der Sinne und niedriger Leidenschaften, ja nicht einmal mit der so verführerischen Lockspeise der Macht, sondern allein durch eine grenzenlose Eigenliebe. Übrigens war diese Eigenliebe weder ein dunkler Instinkt noch eine unsinnige Anmaßung.

Außer seiner einzigartigen Genialität, seiner Schönheit und seinem Seelenadel rechtfertigten die glänzendsten Beweise der Enthaltsamkeit, der Uneigennützigkeit und aktiver Wohltätigkeit doch wohl hinreichend die überaus starke Eigenliebe des großen Spiritualisten, Asketen und Philanthropen. Und kann man es ihm zum Vorwurf machen, daß er, so reich beschenkt mit Gottes Gaben, sie als Zeichen dafür nahm, daß Gott ein besonderes Wohlgefallen an ihm habe, daß er sich für den Zweiten nach Gott hielt, für den in seiner Art einzigen Sohn Gottes? Mit einem Wort — er hielt sich für das, was in Wirklichkeit Christus war. Doch dieses Bewußtsein seiner höheren Würde empfand er nun nicht als sittliche Verpflichtung gegen Gott und Welt, sondern als sein Recht und seinen Vorzug vor den anderen, besonders aber vor Christus. Anfangs stand er auch Jesus nicht feindlich gegenüber. Er erkannte Seine messianische Bedeutung und Würde an, aber im Grunde sah er in Ihm nur seinen größten Vorgänger — die sittliche Tat Christi und Seine absolute Einzigkeit waren diesem durch Eigenliebe verfinsterten Geiste unverständlich. Er urteilte so: "Christus ist vor mir gekommen; ich erscheine als Zweiter; nun ist aber das, was in der Ordnung der Zeit später erscheint, dem Wesen nach das Erste. Ich komme als Letzter, am Ende der Geschichte, eben weil ich der vollkommene, endgültige Erlöser bin. Jener Christus war mein Vorläufer. Seine Aufgabe war, mein Erscheinen vorherzuverkünden und vorzubereiten.“ Und in diesem Gedanken wird der große Mensch des 21. Jahrhunderts all das auf sich anwenden, was im Neuen Testament über das zweite Kommen gesagt ist, indem er dies Kommen nicht als Wiederkunft desselben Christus erklärt, sondern als die Ersetzung des vorläufigen Christus durch den endgültigen, für den er sich selbst hält.

In diesem Stadium ist der Mensch der Zukunft noch eine wenig charakteristische und originale Erscheinung. Denn in ähnlicher Weise betrachtete zum Beispiel Muhammed, der doch ein rechtschaffener Mann war und den man keiner bösen Absicht zeihen kann, sein Verhältnis zu Christus.

Daß er aus Eigenliebe sich selbst den Vorzug vor Christus gibt, wird dieser Mensch noch mit folgender Erwägung rechtfertigen: ,,Christus, der das sittlich Gute predigte und in seinem Leben darstellte, war ein Besserer der Menschheit, ich aber bin berufen, der Wohltäter dieser teils gebesserten, teils aber unverbesserlichen Menschheit zu sein. Ich werde allen Menschen alles geben, was sie brauchen. Als Moralist trennte Christus die Menschen durch die Unterscheidung von Gut und Böse, ich werde sie vereinigen durch die Güter, deren Gute und Böse in gleicher Weise bedürfen. Ich werde der wirkliche Vertreter des Gottes sein, der seine Sonne aufgehen läßt über die Guten und über die Bösen und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte. Christus brachte das Schwert, ich bringe den Frieden. Er drohte der Erde mit dem schrecklichen Jüngsten Gericht. Aber der letzte Richter werde ja ich sein, und mein Gericht wird nicht ein Gericht der bloßen Gerechtigkeit, sondern ein Gericht der Gnade sein. Auch Gerechtigkeit wird in meinem Gericht sein, aber keine vergeltende Gerechtigkeit, sondern eine verteilende Gerechtigkeit. Ich unterscheide sie alle und gebe jedem das, was er braucht.“

Und in dieser wundervollen Stimmung wartet er nun auf irgendeinen klaren Ruf Gottes zum Werk der neuen Erlösung der Menschheit, auf irgendeine deutliche und schlagende Bezeugung dessen, daß er der ältere Sohn, der geliebte Erstling Gottes sei. Er wartet und nährt sein Selbst mit dem Bewußtsein seiner übermenschlichen Tugenden und Begabungen — denn, wie gesagt, er ist ein Mensch von untadeliger Sittlichkeit und ungewöhnlicher Genialität.

So wartet der stolze Gerechte der höheren Sanktion, um seine Erlösung der Menschheit zu beginnen — doch er wartet vergebens. Er hat die Dreißig schon überschritten, noch drei Jahre vergehen. Und da blitzt es in seinem Geiste auf, und wie ein heißer Schauder jagt ihm der Gedanke durch Mark und Bein: .,Wenn aber doch? ... Wenn nun nicht ich, sondern dieser ... Galiläer ... Wenn Er nun doch nicht mein Vorläufer wäre, sondern der Wirkliche, der Erste und der Letzte? Aber dann müßte Er ja leben ... aber wo ist Er denn? ... Wenn Er nun plötzlich zu mir käme ... jetzt, hier ... Was sollte ich Ihm sagen? Beugen müßte ich mich ja vor Ihm wie der letzte dumme Christ, wie irgend so ein russischer Mushik sinnlos brummeln: Herr Jesus Christ, sei mir Sünder gnädig — oder mich mit ausgebreiteten Armen hinwerfen wie ein polnisches Bauernweib? Ich, der lichte Genius, der Übermensch. Nein, nie!“ Und an Stelle der früheren, vernünftig-kalten Achtung gegen Gott und Christus entsteht und wächst jetzt in seinem Herzen zuerst eine Art Schrecken, dann aber ein brennender, sein ganzes Wesen erdrückender, einschnürender Neid und ein greller, den Geist überwältigender Haß. ,,Ich, ich, und nicht Er! Er ist nicht unter den Lebenden, ist es nicht und wird es nicht sein. Er ist nicht auferstanden, ist nicht auferstanden, ist nicht auferstanden! Verfault ist er im Grab, verfault wie die letzte ...“

Und mit Schaum vor dem Munde, in krampfhaften Sprüngen, rennt er aus dem Hause, aus dem Garten und läuft hinaus in die öde schwarze Nacht auf felsigem Pfade ... Seine Wut legte sich, und nun überkam ihn Verzweiflung, trocken und schwer wie diese Felsen, finster wie diese Nacht. An einer senkrecht abfallenden Wand blieb er stehen und hörte ganz aus der Tiefe einen Wildbach über die Steine rauschen. Eine unerträgliche Seelenqual bedrückte sein Herz. Plötzlich regte sich etwas in ihm. ,,Soll ich Ihn rufen, fragen, was ich tun soll ?,, Und inmitten der Dunkelheit erschien ihm eine Gestalt voller Sanftmut und Trauer. ,,Er bemitleidet mich ... nein, niemals! Er ist nicht auferstanden, ist nicht auferstanden.“ Und er stürzte sich den Abhang hinab. Aber etwas Elastisches, wie eine Wassersäule, hielt ihn in der Luft, er fühlte eine Erschütterung wie von einem elektrischen Schlage, und eine unsichtbare Kraft warf ihn zurück. Für einen Augenblick verlor er das Bewußtsein und fand sich plötzlich kniend, einige Schritte vom Abgrund entfernt. Vor ihm zeichneten sich die Umrisse einer in phosphorischem, nebelhaftem Glanz leuchtenden Figur, aus der zwei Augen mit unerträglich scharfem Blick seine Seele durchbohrten . . .

Er sieht diese zwei durchdringenden Augen und hört eine seltsame Stimme — er weiß nicht recht, kommt sie von außen oder von innen —, sie klingt hohl, gleichsam gedrückt, und gleichzeitig deutlich, metallisch und völlig seelenlos, wie aus einem Phonographen. Und diese Stimme sagt zu ihm: „Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Warum bist du nicht zu mir gekommen? Wofür hast du den geehrt, den Häßlichen, und seinen Vater? Ich bin dein Gott und Vater. Und jener Bettler, der Gekreuzigte — mir ist er fremd und dir. Ich habe keinen anderen Sohn als dich. Du bist der Einzige, der Eingeborene, bist mir gleich. Ich liebe dich und fordere nichts von dir. Du bist auch so schön, groß, mächtig. Tu dein Werk in deinem Namen, nicht in meinem. Ich kenne keinen Neid dir gegenüber. Ich liebe dich. Ich will nichts von dir. Der, den du für Gott hieltest, forderte von seinem Sohne Gehorsam, grenzenlosen Gehorsam, bis zum Tode am Kreuz, und er half ihm nicht, als er am Kreuze hing. Ich fordere nichts von dir, und ich werde dir helfen. Um deiner selbst willen, um deines eigenen Wertes und deiner Vorzüge willen und aus meiner reinen uneigennützigen Liebe zu dir werde ich dir helfen. Nimm hin meinen Geist! Wie mein Geist dich früher in Schönheit gezeugt hat, so zeugt er dich jetzt in Kraft.“ Und bei diesen Worten des Unbekannten öffnete sich der Mund des Übermenschen ohne dessen Willen, die zwei durchdringenden Augen kamen seinem Gesicht ganz nahe, und er fühlte, wie ein scharfer, eisiger Strom in ihn eingig und sein ganzes Wesen erfüllte. Und gleichzeitig empfand er eine unerhörte Kraft, Munterkeit, Leichtigkeit und Wonne. Im gleichen Augenblick verschwanden plötzlich das leuchtende Antlitz und die zwei Augen, eine geheimnisvolle Kraft erhob den Übermenschen über die Erde und ließ ihn dann schnell in seinem Garten nieder, an der Tür seines Hauses. S. 105-109 [...]

Aus:
Wladimir Solowjew - Kurze Erzählung vom Antichrist
Erich Wewel Verlag, 1994


Professor Peter Gerdsen zu
Solovjevs Antichrist und Dostoevskijs Großinquisitor (Dostoevskij)

Die Kurze Erzählung vom Antchrist , die der Russe Solowjew im Jahre 1900 veröffentliche, zeigt, daß wir in einer Zeit leben, in der sich die Prophetien der Heiligen Schrift bewahrheiten. Somit ermöglicht die Heilige Schrift ein tieferes Durchschauen der Zeitverhältnisse ...

... Soweit also die Erzählung vom Antichristen. Das Erstaunliche an ihr ist doch, daß die geschilderten Verhältnisse sich gegenwärtig in der Verwirklichung befinden: der durch eine Weltregierung erzwungene Friede, der totale in eine allgemeine Gleichheit des Sattseins führende Sozialstaat, die unangemessene und über das Ziel hinaus schießende Tierliebe sowie die immer weiter sich ausbreitende Spaßkultur, in der man sich nach der Arbeit in die Selbstvergessenheit des Erlebens stürzt. Unser Land befindet sich offensichtlich voll im Kraftfeld des Antichristen; die Soziale Marktwirtschaft des Ludwig Ehrhard, der nach dem zweiten Weltkrieg durch seine Politik die Initialzündung zum Aufbau des zerstörten Landes gab, ist zu einem totalen antichristlichen Sozialstaat permutiert ...

... Die geschilderten Taten des Antichristen finden ihre Parallelen in der Versuchungsgeschichte des Evangeliums, in der Christus in der Wüste durch den Widersacher drei Versuchungen ausgesetzt wird ... Eine besonders brillante Deutung der Versuchungsgeschichte findet man im Kapitel der Gebrüder Karamasow von F. M. Dostojewski1, der darin ein Gespräch des Großinquisitors von Sevilla in Spanien mit dem wieder in Erscheinung getretenen Christus schildert ...



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© BücherWiki Community bzw. die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 19. April 2008