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Über Das Lesen

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OrdnerLesen


Eine Initiale zu Beginn....

....und dann weiter das, was sie initialisiert hat:

Jacques Derrida und die Ethik des Lesens

Das Lesen und die Lektuere sind eines der zentralen Themen des franzoesischen Philosophen JacquesDerrida, des "Begruenders" der sogenannten Dekonstruktion:

Laut Derrida ist die europaeische Kultur- und Geistesgeschichte dadurch gekennzeichnet, dass sie die gesprochene Sprache der Schrift vorzieht. Seit der Antike wird die Schrift lediglich als eine Art Anhaengsel der Rede betrachtet, als deren Archivierung und Niederschrift, waehrend die wirkliche Bedeutungsproduktion dem gesprochenen Wort obliegt. Eine Vorstellung, die sich nach Ansicht von Derrida aus dem traditionellen europaeischen Zeichenbegriff ergibt:

Das Zeichen wird als Repraesentant des Bezeichnenden betrachtet, als eine Art Schildchen, das auf eine "natuerliche Weise" mit dem Gegenstand, den es beschreibt, verbunden ist. Wenngleich diese Vorstellung von der Sprache als eine 1:1-Abbildung, als ein Spiegel der Welt im 20. Jahrhundert zunehmend aufgeloest worden ist, hat dieses Bild nach Ansicht von Derrida lange Zeit gewirkt und wirkt noch immer nach. Dementsprechend begibt sich Derrida auf die Suche nach diesem Bild und seinen Wirkungsweisen.

Fuendig wird Derrida dabei bei Platon, aber auch bei Denkern wie Hegel oder modernen Sprachforschern wie Saussure. Immer wieder lassen diese sich vom Zeichenbegriff verfuehren und denken Sprache als eine Art Abbild der Welt, was sie in weiterer Folge dazu bringt, das gesprochene Wort zu betonen. Wenn naemlich das Zeichen, das Wort, eine natuerliche Naehe zum Gegenstand hat, fuer den es steht, liegt der Gedanke nicht fern, das schnell gesprochene Wort als quasi selbstverstaendlichen Ausdruck dieser Naehe zu betrachten. Das viel langsamere, bedachte Schreiben hingegen hat nicht diese Naehe zur Welt, weshalb es lediglich als Supplement oder Abbild der gesprochenen Sprache betrachtet wird.

Gegen dieses Konzept beginnt Derrida nun anzuarbeiten: Er zeigt, dass dieses Zeichenkonzept verkehrt ist; erinnert daran, dass Schreiben eine ganz eigene Taetigkeit ist (und nicht bloss das Festhalten von Gesagtem) und und und. Als Dekonstruktion versteht er dabei seine Arbeit, als ein Hineinarbeiten in die europaeische Tradition, die Leerstellen und Fehler bei anderen AutorInnen aufzeigt; als eine permanente Produktion von Anmerkungen und Randnotizen, die die Texte Platons oder Saussures ergaenzen, aber nie voellig zerstoeren sollen. Eine etwas ausfuehrlichere Darstellung der Dekonstuktion und der Derrida'schen Kritik am Zeichenbegriff habe ich hier versucht: WasIstDekonstruktion?

Damit rueckt aber auch das Lesen als solches in das Zentrum des Derrida'schen Interesses: Eine richtige Ethik des Lesens wird entworfen, die wiederum zu einer umfassenden Ethik weiterfuehrt. Dazu ein paar Bemerkungen und Gedanken:

Lesen, Lektueren, Interpretationen

Wenn Sprache kein 1:1-Abbild, kein Spiegel, keine Repraesentation der Welt ist - was ist sie dann?

Derrida spricht sehr gerne von Metaphern: Sprechen wie Schreiben (oder auch die Produktion von Kunst) ist die Produktion von Metaphern, von Erzaehlungen, von Geschichten; auch dann, wenn es sich um wissenschaftliche Texte handelt. Geschichten fuehren aber bekanntlich ihr Eigenleben, d.h., sie sind von bestimmten Stilmomenten (etwa vom Wissenschaftsstil) durchdrungen, sind - bis zu einem gewissen Grad - immer auch Genre.

Diese Genre-Momente (man formuliert etwas in einem ganz bestimmten Stil, nutzt ganz bestimmte Worte und Wortfolgen etc.) bleiben nun aber nicht ohne Folgen: Wer Texte schreibt kennt nur allzu gut die Erfahrung, wie man vom Text selbst in Richtungen gezwungen wird, die man gar nicht intendiert hatte; etwa, weil die Vermeidung einer Wortwiederholung eine Umschreibung notwendig macht, die aber wiederum ein paar neue Probleme und Nebenargumente notwendig macht, die man gar nicht weiter diskutieren wollte und die nun doch diskutiert werden muessen. Permanent sind solche Momente in einem Text wirksam - in so ungeheurer grosser Zahl, dass wir sie gar nicht alle merken und "verwalten" koennen. Mit jedem Text produzieren wir deshalb auch Mehrdeutigkeiten, Leerstellen, Auslassungspunkte, die das Eigenleben des Textes weiter verstaerken.

Hier hakt nun Derridas Ethik der Lektuere ein: Einem Text gerecht werden, heisst nicht nur, die Position der AutorIn zu rekonstruieren (einen Kommentar zu schreiben); es bedeutet auch, sich auf all diese Mehrdeutigkeiten einzulassen, die im Text drinnen stecken. Lesen sollte daher immer eine doppelte Bewegung sein, die mit der Produktion des Kommentars beginnt, sich aber dann immer tiefer in den Text hineinwagt; die Bedeutungsfaeden und Verbindungen aufnimmt, die die AutorIn wahrscheinlich nicht einmal gesehen aber eben doch angelegt hat.

Lesen wird so aber fast schon selbst wieder - und das ist ein ganz wichtiges Moment des Derrida'schen Denkens, das in den Literaturwissenschaften wie in der Literatur tiefe Spuren hinterlassen hat und auch fuer die Netz- wie Community-Diskussion von groesster Wichtigkeit ist - zu schreiben. Denn wer so liest, macht - wahrscheinlich auch in buchstaeblichen Sinne - Randnotizen, Anmerkungen; schmiert Fragen und Kommentare an den Rand des Textes und schreibt so den Text weiter. Die Grenzen zwischen AutorIn und LeserIn beginnen so zu verschwimmen; nicht nur theoretisch - und jedes Wiki ist hierfuer ein wunderbarer Beleg - sondern irgendwann auch ganz praktisch. Ein permanentes Gespraech beginnt, ein SchreibenLesenSchreibenLesenSchreibenLesen?........., in dem man dem/der Anderen wieder und wieder zu lesen/ zu schreiben gibt.

Die Gabe

Wichtig ist nun auch dieses gibt, weshalb es auch fett geschrieben ist. SchreibenLesenSchreibenLesen?.... hat immer sehr viel mit geben zu tun: "Hinzufuegen bedeutet an dieser Stelle nichts anderes als zu lesen geben", schreibt Derrida etwa in "Dissemination" (1972, eines der Hauptwerke). Wer schreibt, gibt zu lesen; und zwar durchaus im Sinn einer Gabe:

In dem Moment, in dem ich das hier schreibe, diese Gedanken ueber das Lesen und ueber Jacques Derridas Vorstellungen der Lektuere, mache ich das seltsam "grundlos". Natuerlich gibt es einen Impuls dafuer - Helmut Leitner hat diese Seite begonnen; ich habe die Moeglichkeit, sie fortzussetzen, was ich gerne tue, da mich das Thema sehr interessiert - und natuerlich waere es spannend, wenn es Reaktionen darauf gaebe, wenn ein Gespraech ueber das Lesen und Lektueren und Communities begaenne - aber es ist kein unbedingtes Muss! Wer schreibt, steht in keiner unbedingten Tausch-Beziehung (zumindest anfangs nicht); er, sie gibt einfach. Zur Gabe gehoert, dass sie ueber die Oekonomie hinausgeht, ohne Preis, Kredit oder sonst etwas erfolgt. Sie will nicht wiedererstattet werden, waere sie sonst doch keine Gabe.

LesenSchreibenLesenSchreiben?.... bleibt daher - und hier beginne jetzt wohl ich schon mit Derrida zu spielen, Randnotizen einzufuegen - immer von der Gabe gekennzeichnet. Selbst wenn sich aus der ersten Gabe ein Diksurs, eine kritische Diskussion entwickelt hat, schwingt doch immer dieses Moment des Gebens mit, auch wenn man sich dann vielleicht schon verpflichtet fuehlt, auf die letzte "Text-Gabe", die man erhalten hat, zu antworten (was in Richtung Oekonomie und Tausch geht). Aber es bleibt immer eine "schwache" Verpflichtung; wer - etwa aus Zeitgruenden - nicht zurueckerstatten kann, tut es eben nicht.

Lesen/Schreiben fuehrt so mitten in die Welt der Gabe und der Gaben hinein (hinein in die Ethik; auch das steckt im halben Titel "...die Ethik des Lesens" drinnen) - ein Moment, das viel zu wenig bedacht wird (gerade auch im Rahmen der Netzdiskussion, die dieses Dimension zwar irgendwie gesehen hat und deshalb eine "Geschenke-Oekonomie" erfunden hat, aber, weil es eben nur ein "irgendwie Sehen" war, nicht verstanden hat, dass es um Gaben geht und Gaben und Oekonomie ein Widerspruch in sich ist. Auch das hat in den vergangenen Jahren viel an oekonomischen Kummer erzeugt...). Jacques Derrida hat dementsprechend auch in der Folge begonnen, diese Idee der Gabe auszubauen und so zu Themen wie Freundschaft und Gastfreundschaft gefunden, um die herum dann ganze Philosophien der Politik entstanden sind. Aber das ist wieder ein anderes Thema....


Lese Schreib Gaben

Ich denke, an diese kleine Skizze koennte man nun anschliessen, ergeben sich doch aus ihr zahlreiche Fragen:

  • Was ist ein Leser / eine Leserin heute noch?
  • Kann die "Lesegabe" auch zum Tausch und damit doch Oekonomie werden?
  • Wie steht es um den Akt des SchreibenLesenSchreibenLesenSchreibenLesen?.... (oder LesenSchreibenLesenSchreibenLesen?... es wird einerlei, womit man beginnt)? Ist das ein moeglicher Schluessel fuer das Verstaendnis von Communities? (Ein bisschen was in diese Richtung ist ja schon angedacht; und zwar auf der Diskussion Online Communities)
  • ....
Gebt einfach! ChristianEigner


Christian, danke für deine Gabe. Ich greife auch gerne dein Angebot zum Diskurs auf und denke, dass es so viele Gemeinsamkeiten gibt, dass es vielleicht sogar gefährlich für uns sein könnte. Was mich außerdem zögern lässt bzw. ließ, war die Tatsache, das wir uns damit in ein riesiges Feld der Philosophie und Soziologie, der sprachlichen Kultur und des Phänomens Leben begeben. Es besteht die Gefahr, damit so intellektuell zu werden (so "gescheit daher zu reden"), dass es andere Teilnehmer von einer Beteiligung abschrecken könnte.

Ich möchte zuerst einmal versuchen, unsere Diskussionzentren auszumachen. Da ist sicher einmal das uralte Thema, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte zieht: WasBedeutetRealität. Für die anderen Begriffe, nämlich LebenGemeinschaftUndÖkonomie? vermute ich einen Zusammenhang, der sich an Hand der OnlineCommunities vermutlich besonders gut diskutieren und vielleicht auch untersuchen lässt.

-- HelmutLeitner


Wenn es Gabe gibt.... Ich hoffe, es war eine Gabe!

Eine Diskussion zu diesen Themenkreisen wuerde ich sehr interessant finden. Und ich fuerchte auch nicht die moegliche Komplexitatet, die sich ergeben koennte: Das schoene an einem Wiki ist ja, das jeder sozusagen "unterbrechen" kann: JEDE FRAGE ist ERWUENSCHT! So lassen sich Klaerungen vornehmen, neue Aspekte entdecken und und und.

Gehen wir es einfach einmal an...

ChristianEigner

Christian, eine gute Idee, wieder weiterzumachen. Es haben sich ja einige Teilnehmer durchaus produktiv in die Diskussion eingemischt und ein Spektrum von Ansichten sichtbar gemacht. Zuletzt wurden sogar die Analyse selbst in Frage gestellt, und zum direkten Erleben und Erkennen der Realität aufgefordert. Auf welchem Weg sollen wir weiter gehen? -- HelmutLeitner

Wie wäre es mit den Intuitiven Weg? --ErnstGruber

Warum nicht. DerIntuitiveWegZurRealität? ist vermutlich derjenige, der dem Künstler, dem Kreativen, dem Individualisten, dem Autor am nächsten liegt. Wenn du einen Zugang dazu hast, dann beginne eine solche Seite. In jedem Lesers steckt sicher ein "Genießer", der sich unmittelbar den Eindrücken und Inspirationen eines Werkes hingibt. Aber er wird oft - aus verschiedenen Quellen trinkend und vergleichend - auch zum Analytiker. Das mag für den Analysierten unangenehm sein, aber es ist legitim. Es geht ja auch um die Qualität - was immer das sein mag - manchmal in Form von Realitätsbezug oder Relevanz für unser Leben. -- HelmutLeitner

Wenn du Zugang dazu hast ? Ich habe Zugang so wie alle Individuen ! ~ Intuition und Intellekt müssen als Gleichwertig verstanden sein, denn ohne Intuition fehlt dem Intellekt der Kreative schub, und ohne Intellekt fehlt der Intuition die Struktur ! ~~ErnstGruber

Ich meinte damit, einen besonderen Zugang, eine Liebe dafür, sodass du darüber schreiben und den intuitiven Weg vermitteln kannst. Jeder arbeitet ständig mit Intuition, aber sie kann - meiner Erfahrung nach - auch in die Irre führen. Welchen Weg siehst du, intuitive Irrtümer zu erkennen und zu korrigieren? -- HelmutLeitner

  • Lieber Helmut,welchen Weg siehst du, intelektuelle Irrtümer .....
  • Es gibt ein Zauberwort für individuelle "Irrtümer"
  • und das heißt:! Volle Selbstverantwortung übernehmen ! ~ --ErnstGruber
Bei intellektuellen (analytischen) Irrtümern sehe ich die Möglichkeit, die Gedankengänge nachvollziehbar und kritisierbar zu machen. Damit kann man Irrtümern gemeinsam auf den Grund gehen und lernen, sie zu beseitigen. Ähnliche Möglichkeiten kenne ich bei individueller Intuition nicht, also frage ich dich danach. -- HelmutLeitner

Nachdem unsere Natur immer wieder von Gefühlen ge- bzw. begleitet wird, bin ich der Ansicht, daß Du nach Erfahren oder Durchleben einer Situation einen Impuls für Dein Bewußtsein gewonnen hast. Bist Du danach der Meinung, etwas korrigieren zu müssen, so hast Du die Möglichkeit aufgrund dieser Erkenntnis. Die obige Formulierung "intuitiver Weg" kann als untergliederte Bezeichnung für den Weg des Menschen verstanden werden, welcher Verstand und Gefühl als untrennbare Einheit betrachtet. Somit ist der Gedanke, bloß Künstler, Individualisten und Kreative hervorzuheben, ebenfalls eine Untergliederung. JochenKvas?


Neurobiologisches

Gmäeß eneir Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid, das ezniige was wcthiig ist, ist daß der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion snid. Der Rset knan ein ttoaelr Bsinöldn sien, tedztorm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das ist so, wiel wir nciht jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wrot als gseatems.


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