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Helmut Leitner / Spontane Natur Und Ihre Folgen


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  Forumbeitrag in de.sci.philosophie vom 18.12.2008:

Wolfram Heinrich wrote:

> Am Wed, 17 Dec 2008 17:17:04 +0100 (CET) schrieb Volker Birk:
>
>
>> Wolfram Heinrich <info@theodor-rieh.de> wrote:
>
>
>
>>> Erzähl mal. Es würde mich wirklich interessieren, von einer Wirkung zu
>>> erfahren, die keine Ursache hat. Ich spreche jetzt nicht von einer Wirkung,
>>> der man ums Verrecken keine Ursache zuordnen kann, sondern eine, die
>>> nachweisbar keine Ursache hat. Ich hoffe zuversichtlich, auch du sprichst
>>> davon.
>>
>>
>> http://de.wikipedia.org/wiki/Casimir-Effekt
>>
>> Der Casimir-Effekt ist ein messbarer Effekt der spontanen
>> Teilchenentstehung.
>>
>
> Kann es sein, daß du sehr leicht für irgendeinen Aberglauben zu begeistern
> bist? Weil im subatomaren Bereich eine deterministische Messung nicht mehr
> möglich ist (das Zeug ist so was von dermaßen klein und die Meßinstrumente
> - vergleichsweise - so was von dermaßen plump), entstehen die Teilchen halt
> einfach irgendwie.


In der aktuellen Elementarteilchen-Physik kommt man nicht ohne Spontan-
aktivitäten in den Modellen aus.

Der leere Raum wird als erfüllt von Gluonen-Fluktuationen begriffen.
Man stellt sich ein allgegenwäriges Feld von Gluonen vor, das ständig leicht
schwingt und stärkere instabile und stabile Fluktuationen ausprägt.
Nur ein solches Modell kann bisher die Vielfalt an Elementarteilchen und
ihr Verhalten bzw. ihre Eigenschaften erklären und berechenbar machen.

Stabile Schwingungen entsprechen den Elementarteilchen. Es kommt aber auch
zu spontanen Bildungen von Teilchen-Antiteilchen-Paaren, die sich sofort
wieder auflösen (sogenannte "Kondensate"). Diese Kondensate dürften für die
kosmologische Theorie erforderliche "schwarze Materie" verantwortlich sein.

So etwa stellt Frank Wiltczek (Physik-Nobelpreisträger 2004) den aktuellen
Stand der Physik dar: In seinen Vorträgen, z. B. im Netz als Video zu sehen
  <http://streaming.telekom.at/index.php?option=com_content&task=view&id=418&Itemid=337>
oder viel ausführlicher in seinem Buch "The Lightness of Being".

Lange Rede kurzer Sinn: seit der Quantenmechanik befindet sich unser
wissenschaftliches Weltbild in einem unaufhaltsamen Umbruch von einer
kausal-deterministischen zu einer probabilistisch-indeterministischen
Basis. Scheinbar ist für 98% der Menschen so eine Vorstellung, dass
es in der Welt einen Anteil an echtem Zufall gibt, so ungeheuerlich,
dass sie sich mit allen Mitteln gegen diese Einsicht wehren.
Auch Einstein ("Gott würfelt nicht") wollte den Wahrscheinlichkeits-
charakter vieler quantenmechanischen Phänomäne nicht wahrhaben.

Es ist wichtig zu verstehen, dass dieser Indeterminismus weder eine
Hintertür für den "lieben Gott mit Rauschebart" darstellt, der wieder
Einzug hält. Noch handelt es sich um eine Abschaffung von Naturgesetzen,
denn in vielen Prozessen, vor allem im Großen, sind die Abläufe kausal
vorhersagbar. Daran ändert sich ja nichts. Beispielsweise bleiben die
Gesetze der Energierhaltung unverändert.

Dort, wo es aber um individuelle Systeme geht (wie entscheidet sich
ein Mensch in einer schwierigen Situation, wann brennt die Glühbirne
durch) haben mechanistische Modelle systemimmanente Schwächen, die
nicht überwunden werden können. Praktisch äußert sich das so, dass
sich die (Natur-)Wissenschaft von solchen widerständigen Systemen
abwendet und sie in ihrer Bedeutung herunterspielt. Dinge wie
"Glück" oder "Bewusstsein" erscheinen dann als Begleiterscheinungen
ohne erstzunehmende Wirklichkeit.

Alternativ kann die Wissenschaft auch dazu tendieren, dieses Manko
durch Gewalt auszugleichen, indem etwa die unberechenbare Vielfalt
der Natur in einer monokulturellen Landwirtschaft vernichtet wird.
Hier wird durch hohen Resourceneinsatz (Energie, Dünger, Schädlings-
bekämpfung, etc.) kausales Verhalten der Systeme erzwungen, mit
allen negativen Begleiterscheinungen. Der vernünftige Bauer, der
ein Verständnis für die Natur, für die Pflanzen, Tiere und seine
Umgebung in ihrer Vielfalt hat, wird eliminiert.

Philosophisch erscheint mir der "Basis-Indeterminismus" als
ein Rettungsanker. Anderfalls müsste im Urknall schon Hitler und
Ausschwitz sowie die Krebserkrankung meiner Mutter als unausweich-
liches Schicksal vorprogrammiert gewesen sein. Es gäbe keine
wirklichen Entscheidungen, keine Entwicklungsalternativen.
Die Zukunft wäre nicht offen (Popper), sondern festgelegt.

Im Indeterminismus ist jedes lebendige Geschehen als etwas wirklich
Neues und Aufregendes begreifbar, etwas das nicht selbstverständlich
ist, dessen Gestaltung Konzentration und Mühe lohnt.

Umgekehrt ist im Indeterminismus jeder ultimative Herrschafts-
anspruch, jedes Bemühen um totale Kontrolle von Mensch und
Gesellschaft, als eine unrealistische Fiktion abweisbar.

Der Indeterminismus lässt jederzeit das Entstehen von Neuem
zu, es muss nicht schon im Vorhandenen enthalten sein. Dies ist
kompatibel mit der Evolutionstheorie, die ja auch von einem
zufälligen Mutationsgeschehen ausgeht, aus dem selektiert wird.

Die Mustertheorie (um zu meinem Stammthema zu kommen) bezieht
sich auf die Mangelsituation mechanistischer Modelle und bietet
ein Entfaltungsmodell für kreative, indeterministische Prozesse an.

Muster erscheinen als wiederverwendbare Handlungsmöglichkeiten,
welche die Gestaltungsentscheidungen unterstützen und freier machen.
Das kreative spontane Individuuum und seine Fähigkeit des Fühlens
und Einfühlens, sein Recht auf Co-Entfaltung, steht im Mittelpunkt.

Ein partikuläres Ziel der Mustertheorie ist der wirtschaftlich
unabhängige Mensch, der nicht unterdrückt und in einer Zwangslage ist,
sondern viele Optionen hat, sein Leben nach seinem Gefühl so oder so
zu leben, ohne dass etwas oder jemand ihm Dinge vorschreibt.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Muster keine Vorschriften sind
und sein sollen, dass sie auch kein Mittel der Propaganda sind.
Das Muster EHE ist eine kulturelle Erfindung, die sich im bestimmten
Situationen entwickelt hat, vielleicht hat es sich auch über
Jahrhunderte bewährt, es ist aber Option, nichts Normatives.
Nur die Betroffenen können erkennen, was für sie richtig ist.
Man kann beraten und zur Seite stehen (Coach, Architekt, Therapeut,
Lehrer, Trainer), aber entscheiden soll jeder selbst, unmanipuliert.

Viele Situationen in unserer Lebenspraxis anerkennen das (z. B.
in der Therapie). In anderen Situationen (z. B. Bildungssystem)
versucht man gerade krampfhaft eine mechanistische Industriali-
sierung (Reglementierung - Schulstandards) durchzusetzen und
vernichtet damit den Freiraum der Gestaltung des Unterrichts
und der Lehr-Lernbeziehungen. An diesem Punkt kann man die
Beziehung zwischen einer kausal-mechanistisch-deterministischen
Grundhaltung und Fehlentwicklungen daraus gut erkennen.

Insofern spielt die philosophische Frage nach Determinismus und
Indeterminismus eine große praktische Rolle, weil sie die Lösungsansätze
bestimmt, die in der gegenwärtigen Multi-Krise zum Einsatz kommen.

Man kann davon ausgehen, dass die meisten Lösungsansätze die Probleme
nur verschlimmern werden. Die Basiskrise ist seit den 70-er-Jahren
offenkundig und das sind "die Grenzen des Wachstums", d. h. wir sind in
einer Wachstumskrise. Unsere Gesellschaft braucht zum Funktionieren
ständiges Wachstum, sonst gerät sie aus den Fugen. Das Wachstum ist
aber durch die Resourcen der Erde begrenzt und absehbar am Ende.
Auf diese Wachstumskrise setzen die diversen Krisen: Energiekrisen,
Klimakrise (Grenze der Aufnahmefähigkeit der Welt für das Wachstum
unseres Abfalls) und Finanzkrise nur auf.

Wachstumkrise > Energiekrise > Klimakrise > Finanzkrise = Multikrise.
D. h. selbst wenn wir die Finanzkrise überstehen, fallen wir nur
auf die nächste Stufe zurück, die immer noch nicht im Kern
des Geschehens, sondern symptomatisch ist.

Wir müssen unsere Gesellschaft völlig neu denken und strukturieren,
oder sie geht in Verteilungskämpfen und -kriegen unter.

Basis dafür kann nur eine Absage an das materielle Wachstum sein
und ein Übergang auf ein Ziel "gefühlter Lebensqualität", die vom
quantitativen Wirtschaftsgeschehen zunehmend entkoppelt wird.

Also z. B. nicht Zunahme an "Pharmazeutika / Operationen / Gesundheits-
industrie" im Sinne von Wachstum, sondern Ziel ist der gesunde
Mensch in Verhältnissen, die ihn gar nicht erst krank machen.
Ärzte, die ihr Geschäft durch Gesunderhaltung von Menschen machen
statt dieses an kranken Menschen verdienen zu müssen.

Also z. B. ein Umschalten der Produktion in Richtung auf hochwertige,
langlebige Produkte. Interessant ist nicht den heurige Design-Shit
konsummaximierend nachzuvollziehen, sondern das Aufeinandertreffen
kulturell und entstehungszeitlich divergierender Kleidung/Produkte.

Ähnliches Umdenken braucht jeder gesellschaftliche Bereich.
Möge uns dieses Umdenken gelingen.

lg Helmut

>
> Ciao
> Wolfram