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Was Ist Gut Und Böse

Was bedeutet "Gut" und "Böse"?


Es liegt wohl in der Natur des Lebens, dass jedes Individuum seinen eigenen Vorteil und seine eigenen Lebenschancen sucht, also das, was für das Individuum selbst gut ist. Gleichzeitig ist das Leben als Gesamtheit nur denkbar, wenn der Vorteil des einen nicht automatisch der Nachteil des anderen ist. Das Leben transzendiert die Physik, indem an Stelle der Erhaltungssätzen von Energie und Masse (Nullsummenspiel) eine System der Synergie (Vorteile für alle) tritt. Der Sauerstoff, der von Pflanzen abgestoßen und von Tier und Mensch geatmet wird, folgt der Massenerhaltung (was der eine nimmt muss der andere geben); jedoch gewinnt dieser physikalische Transfer durch die Änderung der Bedeutung von "Abfallstoff" zu "Nahrung" die Qualität der Synergie.

Aus meiner Sicht ist "Gut" ein Begriff, eine Qualität des Handelns, die entsteht, wenn das Individuum seine persönlichen Vorteile zugunsten der Vorteile größerer Systeme (z. B. der Familie, der Gemeinschaft, der Ökologie) zurückstellt bzw. wenn das Individuum in der Lage ist, beides zu vereinbaren. "Gut" scheint mir kein moralischer oder religiöser Begriff zu sein, sondern ein systemtheoretischer, der sich beim Übergang vom Teil zum Ganzen automatisch ergibt.

Ich denke auch, dass "Liebe" und "Gut" in der selben Idee von "Gemeinschaft" wurzeln: Das Gefühl der Liebe ist eine Motivation für das Gute. Beides verwischt die Grenzen zwischen den Individuen und lässt die Frage, was wem nützt, verblassen.

Die Rolle der Religion bei der Schaffung von Gemeinschaft, d. h. von einer Kultur der Synergie, ist immens. Ich glaube, dass ohne "religiöse Gebote" und ohne "Gottesfurcht" die Transformation der frühen menschlichen Gesellschaften zu sozialen Gesellschaften nicht eingeleitet hätte werden können. Hier sind in der Vergangenheit die Rahmenbedingungen und Visionen für ein Miteinander aus dem Boden gestampft worden und man hat versucht, sie in der Ewigkeit und in der Idee Gottes zu verankern und mit Realität zu erfüllen. Wenn man die Religion aus Sicht der Wissenschaft kritisiert, dann ist IMHO zu bedenken: Die Wissenschaft hat AFAIR kaum wesentliche Beiträge zur Entwicklung von Gemeinschaft geleistet.

Oder anders ausgedrückt:

  • Die Domäne der Wissenschaft ist die Schaffung von Wissen.
  • Die Domäne der Religion ist die Schaffung von Gemeinschaft.
Beides sind IMHO orthogonale Bereiche, deren saubere Trennung wichtig ist. Der Versuch, Aussagen oder Methoden in den jeweils anderen Bereich zu extrapolieren, ist wohl zum Scheitern verurteilt.

-- HelmutLeitner


Lieber Helmut, an dieser (von der Systemtheorie abgesehen) recht traditionell christlichen Sicht reizt mich doch wieder einiges zum Widerspruch:

An die friedens- und gemeinschafts-stiftende Rolle der Religion vermag ich nicht so recht zu glauben. Das Problem ist, dass die Religion viele Gemeinschaften hervorgebracht hat, die sich in der Vergangenheit nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet gefühlt haben, ihre Sicht gegen Andersgläubige mit Feuer und Schwert, Inquisition und Hexenverbrennung durchzusetzen, und bis auf den heutigen Tag werden Kriege im Namen der Religion geführt.

Ich denke, dass eine mehr pantheistische Religion ohne Gebote, strenge Regeln und Glaubenssätze, wie ich sie in ReligiöserSprachgebrauch zu skizzieren versucht habe, das übergreifende, gemeinsame, verbindende zwischen Mensch, Welt und Gott viel stärker betont und daher sehr viel besser als friedensstiftende allgemeine Sicht auf Mensch, Natur und Gott geeignet wäre.

Aber leider liegt es halt offenbar viel näher, sich seinen Gott (oder seine Götter) nach dem Ebenbild des Menschen zu schaffen, nämlich als ein "höheres Wesen", das Gebote erlässt, deren Befolgung bedingungslos durchgesetzt werden muss.

Was nun "gut" und "böse" betrifft, so hat schon Kant mit seinem "kategorischen Imperativ" ("Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne") versucht, eine mehr wertfreie, quasi wissenschaftliche Begründung zu geben, ähnlich wie du es mit der Systemtheorie versuchst: In beiden Fällen ist das Wohl "des Ganzen" oder "der Gemeinschaft" entscheidend.

Dabei kommt es jedoch ganz darauf an, wie umfassend man "das Ganze" definiert. Was im Interesse der eigenen Religionsgemeinschaft liegt, wird oft nicht im Interesse konkurrierender Gemeinschaften oder der ganzen Menschheit liegen.

Was im Interesse der ganzen Menschheit liegt, also insbesondere der Erhaltung der menschlichen Art dient, liegt zum Beispiel nicht im Interesse der Tiere: Für diese gilt das Gebot "Du sollst nicht töten" offenbar nicht: Wir töten sie um uns von ihrem Fleisch zu ernähren. Vegetarier halten das nicht für "gut", sondern für "böse", aber auch sie können nicht verhindern, dass sie zumindest niedere Tiere töten, zum Beispiel Ameisen zertreten, wenn sie sich in freier Natur bewegen, oder Bakterien, die in ihren Körper eingedrungen sind, mit Hilfe ihres Immunsystems vernichten.

Wir müssen mit Darwin offenbar akzeptieren, dass die Höherentwicklung des Lebens auf der Erde ohne den Kampf "aller (Arten) gegen alle" um die Arterhaltung nicht möglich gewesen wäre, und dass "gut" und "böse" am ideologie-freiesten vielleicht nur durch Bezugnahme auf die Arterhaltung zu definieren sind.

Aber auch die Arterhaltung versteht man nur dann recht, wenn man den Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit oder des dauerhaften, langfristigen Nutzens für die (gesamte!) menschliche Art gehörig berücksichtigt.

Ich denke, dass die Ökologiebewegung, die ja keine religiöse, sondern eine durch wissenschaftliche Forschung und Einsicht motivierte Bewegung ist, die wichtigste geistige und politische Bewegung unserer Zeit ist, die erstmals übergreifend das langfristige Interesse der gesamten Menschheit verfolgt, und zwar auf friedliche Weise, ohne Kreuzzug, heiligen Krieg und Klassenkampf.

Dies ist "Gemeinschaftsbildung" der von mir bevorzugten Art; sie fußt auf soliden, objektiven wissenschaftlichen Erkenntnissen und ihrer (im Interesse der gesamten menschlichen Art) wohlverstandenen Anwendung; das kann von rein religiösen Bewegungen kaum geleistet werden.

Übrigens, um es klar zu sagen: An einer kurzschlüssigen Kritik religiöser Überzeugungen durch vermeintlich überlegene, aber in Wahrheit wegen des nicht-wissenschaftlichen Zwecks religiöser Aussagen gar nicht anwendbare wissenschaftliche Argumente ist mir nicht gelegen, und auch ich plädiere für eine strikte Unterscheidung des religiösen vom wissenschaftlichen Sprachgebrauch.

Aber es stört mich auch, wenn Theologen, Pfarrer und Gläubige an Bibeltexte mit scheinbar logischer Argumentation herangehen und damit allerlei "Auslegungen" zu begründen versuchen (wie es zum Beispiel in jeder Predigt geschieht). Dann muss es auch erlaubt sein, gelegentlich vorzuführen, in welche Widersprüche man sich ganz schnell verwickeln kann, wenn man die Logik auf absichtlich möglichst wörtlich genommene biblische Begriffe und Aussagen anwendet.

Das Gegenargument pflegt dann zu lauten: "Ja, aber das darf man doch nicht so wörtlich nehmen." Nach meiner Auffassung muss man logische Argumente entweder wörtlich nehmen dürfen, oder man muss ganz darauf verzichten. Alles andere verträgt sich nicht mit meinem Verständnis von Logik, die immer auch notwendig "Wortklauberei" (im Sinne von "genau und wörtlich nehmen") ist.

--KlausGünther


Lieber Klaus, wenn du meine Sicht als "traditionell christlich" einstufst, dann wundert mich das nicht mehr sehr, obwohl ich von traditionell christlicher Seite meist als "nahezu atheistisch" gesehen werde. Das liegt daran, dass ich versuche, mich auf einer Art Äquidistanz zu Religion und Wissenschaft zu bewegen. Damit werde ich von beiden Seiten immer als Außenseiter wahrgenommen.

Aber konkret: Von Friedens-Stiftung habe ich nicht gesprochen. Die Gemeinschafts-stiftende Wirkung der Religion ist wohl unbestritten, aber sie ist auch eine Falle, weil sie nur um den Preis der Abgrenzung (zu den "Heiden", wie immer sie auch heißen), der Überhöhung der eigenen Position ("Kinder Gottes", "Auserwähltes Volk", nahe an einer "Herrenrasse") und durch die Schaffung von Feindbildern erkauft wird. Ich stimme völlig mit dir überein, dass ein solches Gemeinschaftsbild nicht mehr unseren heutigen Vorstellungen entsprechen kann.

Andererseits sehe ich im "Pantheismus" - ohne dir oder jemand anderem nahe treten zu wollen - keine gesellschaftliche Kraft, die in der Vergangenheit oder in der Gegenwart viel hätte bewegen können.

Selbst wenn man die Kirchen als historische Faktoren kritisiert, so muss man doch anerkennen, dass die Religionen immer auch der fruchtbarste Nährboden für idealistische Personen und Bewegungen waren und auch heute noch sind.

Dass die Vertreter des Christentums natürlich versuchen, ein einigermaßen konsistentes gedankliches Gebäude zu errichten, ist nur verständlich. Dass dieses Unterfangen durch die widersprüchlichen Quellen und Traditionen nahezu aussichtslos ist, und sich der Kritik preisgibt, ist auch klar. Das entwertet aber IMHO nicht die grundsätzlichen Anliegen, Aussagen oder Bestrebungen.

-- HelmutLeitner

Danke für die Klarstellungen. Das gefällt mir dann schon deutlich besser, wenn ich auch nicht verstehe, wie man dich mit einem Atheisten verwechseln kann, wo du doch so eine klare Präferenz für einen persönlichen Gott hast.

Die bisher geringe Bedeutung des Pantheismus ist ja auch vor allem dadurch bedingt, dass uns die Dreiteilung in "ich", "reale Außenwelt" und "persönlicher Schöpfergott" seit eh und je von Kindheit an von den großen monotheistischen Religionen als einzige Denkmöglichkeit eingeimpft wird, und es bedarf erheblicher Anstrengungen, sich ohne nennenswerte Hilfe von außen erst einmal wieder davon zu befreien. Nach meiner Überzeugung wird die pantheistische Weltsicht in den kommenden Jahrhunderten langsam immer mehr Anhänger finden, da sie sich ohne Widersprüche mit unserer naturwissenschaftlich/technischen Kultur verträgt.

Übrigens könnte ich mir denken, dass es in vorgeschichtlicher Zeit schon einmal eine verbreitete Affinität zu magisch/pantheistischen Vorstellungen ohne persönliche Götter gegeben hat.

--KlausGünther


Wenn man das Gemeinschaftsbild der Religion, das so viel auch mit Abgrenzung und Ausgrenzung zu tun hat, kritisiert, dann kann diese Vorgehensweise aber schlecht durch ein Bild ersetzt werden, das wiederum die gleiche Aussage macht ("wir haben Recht, und ihr folgt falschen Vorstellungen"). Ob nun ein persönlicher Gott eine Rolle in der Weltanschauung spielt (z. B. Christentum) oder nicht (z. B. Pantheismus), scheint mir unwichtig. Wenn alles in derselben Natur oder Schöpfung wurzelt, dann müssen auf der Suche nach den letzten Anworten am Ende, dort wo es um reale Werte und reales Tun geht, die Systeme konvergieren. Es kann zum Beispiel unlösbare Gegensätze in der ideellen Frage der "Dreieinigkeit" geben, aber nicht in der realen Frage der "Mitmenschlichkeit". Ein komplexes Gleichungssystem kann doch auch auf vielen Wegen lösbar sein, wobei alle Wege dieselben Lösungen ergeben müssen und die Frage nach dem richtigen Lösungsweg eigentlich irrelevant ist. Weltanschauungen erscheinen mir oft wie Lösungsansätze, die zwar keine nachweisbaren Lösungen vorweisen können, aber wesentliche Energieanteile darauf verschwenden, zu beweisen, dass ihr Ansatz der einzig mögliche und richtige ist. -- HelmutLeitner

Da ich sowieso denke, dass es in religiösen/weltanschaulichen Fragen kein "richtig" und "falsch" gibt, sondern dass religiöse/weltanschauliche Aussagen nur gefühlsmäßige Einstellungen in bildhafter Weise ausdrücken, gibt es für mich auch kein "einzig richtig". --KlausGünther


 
© SinnWiki Community zuletzt geändert am April 5, 2013