Hermann Hesse / Gedichte
Gedichte von Hermann Hesse
Stufen | |
- Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
- Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
- Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
- Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
- Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
- Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
- Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
- In andre, neue Bindungen zu geben.
- Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
- Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
- Wir sollten heiter Raum um Raum durchschreiten,
- An keinem wie an einer Heimat hängen,
- Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
- Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
- Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
- Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
- Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
- Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
- Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
- Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
- Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
- Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde !
Skizzenblatt | |
- Kalt knistert Herbstwind im dürren Rohr
- Das im Abend ergraut ist;
- Krähen flattern vom Weidenbaume landeinwärts.
- Einsam steht und rastet am Strande ein alter Mann,
- Spürt den Wind im Haar, die Nacht und nahenden Schnee,
- Blickt vom Schattenufer ins Lichte hinüber,
- Wo zwischen Wolken und See ein Streifen
- ernsten Strandes noch warm im Lichte leuchtet:
- oldenes Jenseits, selig wie Traum und Dichtung.
- Fest im Auge hält er das leuchtende Bild,
- Denkt der Heimat, denkt seiner guten Jahre,
- Sieht das Gold erbleichen, sieht es erlöschen,
- Wendet sich ab und wandert
- Langsam vom Weidenbaume landeinwärts.
- (Dezember 1946)
OrdnerGedichte
|