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Dekabristen Aufstand

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Die Dekabristen (russisch: "dekabr" = Dezember, deswegen im deutschsprachigen Raum auch als Dezembristen bekannt) waren "adlige Revolutionäre" (nach Lenin), die am 26. Dezember (14. Dezember nach dem damals in Russland gültigen julianischen Kalender) im Jahr 1825 den Eid auf den neuen Zaren Nikolaus I. verweigerten. Damit bekundeten sie ihren Protest gegen das absolutistische Zarenregime, gegen Leibeigenschaft, Polizeiwillkür und Zensur. Sie dienten in Petersburger Eliteregimentern und waren sehr gebildet. Fünf der rebellischen Offiziere wurden gehenkt, einige wurden degradiert und rund 600 zu Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt.


Dekabristen-Alphabet

Hier sind Dekabristen und Dekabristen-Frauen namentlich aufgeführt, zum Teil mit kurzen Informationen zur Peron


Die Dekabristen - Revolutionäre für Russland
von Hanns-Martin Wietek

Teil I: Geschichte in Dokumenten

„Endlich brachte mir mein Bruder Zeitungen und berichtete, mein Mann sei verurteilt worden. Man habe ihn und seine Gefährten auf dem Festungskronwerk degradiert.

Das war so vor sich gegangen: Im Morgengrauen des 13. Juli wurden alle Verurteilten auf dem Kronwerk versammelt und nach Kategorien getrennt vor dem Galgen aufgestellt. Sergej zog sich sofort den Offiziersrock aus und warf ihn ins Feuer, um zu vermeiden, dass man ihn ihm abriss. Es waren mehrere Feuer angezündet worden, in denen man die Uniformen und die Orden der Verurteilten verbrannte. Sie mussten niederknien und wurden degradiert, indem die Gendarmen auf den Köpfen der Delinquenten deren Säbel zerbrachen. Das geschah so ungeschickt, dass mehrere von den Männern Kopfverletzungen davontrugen. Nach der Rückkehr ins Gefängnis erhielten sie Zuchthausessen statt der gewohnten Verpflegung. Außerdem gab man ihnen Zuchthauskleidung - Jacke und Hose aus grobem grauem Tuch.

Dieser Szene folgte eine zweite, weitaus schrecklichere. Die fünf zum Tode verurteilten - Pestel, Sergej Murawjow, Rylejew, Michail Bestushew-Rjumin und Kachowski - wurden zur Richtstätte geführt. Man henkte sie, aber so grässlich unbeholfen, dass drei aus der Schlinge rutschten und noch einmal zum Schafott geführt werden mussten. Sergej Murawjow, der sich das Bein gebrochen hatte, lehnte es ab, gestützt zu werden, und Rylejew spottete: »Ich bin glücklich, zweimal für das Vaterland sterben zu dürfen. «

Ihre Leichen wurden in zwei Tröge gelegt, die mit ungelöschtem Kalk gefüllt waren, und auf der Insel Golodai begraben. Dort stand ein Posten, der keinen zu den Gräbern ließ. Ich kann bei dieser Szene nicht verweilen und sie genauer beschreiben, die Erinnerung schmerzt mich allzu sehr. General Tschernyschow, später Graf und Fürst, spazierte um die fünf Galgen herum, betrachtete die Opfer durch seine Lorgnette und lachte.

Mein Mann verlor Titel, Vermögen und Bürgerrechte und wurde zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit sowie lebenslänglicher Verbannung verurteilt. Am 26. Juli schickte man ihn zusammen mit den Fürsten Trubezkoi und Obolenski, mit Dawydow, Artamon Murawjow, Jakubowitsch und den Brüdern Borissow nach Sibirien.“ [Zitat aus: Fürstin Maria Wolkonskaja, Erinnerungen, St. Petersburg, 1904]

Teil II: Die geistigen und geschichtlichen Hintergründe, die revolutionären Forderungen, die Literatur

Wenn man über Revolutionäre für Russland spricht, kommt man an einem Mann nicht vorbei, und das ist – so paradox es klingt – Zar Peter der Große (*1672, Regierungszeit 1682 bis †1725). Er schuf die Grundlage für alles, was später geschah. Er „prügelte“ die russische Gesellschaft brutaliter aus ihrer oblomowschen Trägheit: Er schnitt alte Zöpfe und Bärte ab – auch im wahrsten Sinn des Wortes und eigenhändig, nämlich jene der Adligen, der Bojarenfürsten. Er verordnete europäische Kleidung und bestrafte schwer, wer sich nicht daran hielt; er entmachtete die über alles bestimmende Kirche, enteignete Klöster (machte beispielsweise Krankenhäuser und Gefängnisse daraus), zwang die Mönche zur Arbeit, führte Militärreformen durch, führte in der Verwaltung Ränge ein, die es auch Nichtadligen erlaubten vorwärts zu kommen, ging gegen Korruption vor usw. Er reformierte die russische Schrift – latinisierte sie im Schriftbild, strich Buchstaben – und führte eine neue Literatursprache ein, weg vom alten Kirchenslawisch, hin zur Umgangssprache. Peter der Große öffnete sein Land nach Westen und machte es zu einem Machtfaktor in der europäischen Völkerfamilie.

Als allmächtiger Imperator, wie er sich als erster Zar auch nennen ließ, setzte er seine Reformen mit Gewalt durch (anders war es nicht möglich!), sodass man ihn durchaus einen Revolutionär nennen könnte, einen „imperialen Revolutionär“, wenn es diese Bezeichnung denn gäbe. Er war so wenig zart besaitet wie jeder Revolutionär. Sein Ziel war es, den Staat zu modernisieren, die Gesellschaft umzukrempeln. Das Russland, das er schuf, hatte nur noch wenig mit dem alten Russland zu tun, auch wenn die feudale Ordnung weiterhin Bestand hatte.

Damit begann das 18. Jahrhundert.


Hanns-Martin Wietek
Das Erbe der Dekabristen

Teil 1

... Zu Nikolaus‘ Zeiten gab es in Russland noch keine Öffentlichkeit; Literatur und Presse standen unter strengster Kontrolle des Herrschers. Schriftsteller ereilte unter seiner Herrschaft mitunter ein grausames Schicksal: Der Dekabrist Wilhelm Küchelbecker verbrachte an Händen und Füßen gefesselt zehn Jahre in Festungshaft und wurde – obschon erblindet – danach nach Sibirien verbannt; der Dekabrist Gardeoffizier Alexander Bestushew (Marlinskij) wurde nach Sibirien verbannt und danach als einfacher Soldat in den Kaukasus versetzt; Alexander Puschkin wurde vom Zaren persönlich zensiert; Michail Lermontow landete in der Verbannung; der Philosoph Pjotr Tschaadajew wurde für verrückt erklärt und unter Hausarrest gestellt; Fjodor Dostojewski wurde als Mitglied des Petraschewski-Kreises verhaftet, zum Tode verurteilt und erst in letzter Sekunde – schon an der Hinrichtungsstätte – begnadigt (eine bewusste Scheinhinrichtung) und für vier Jahre nach Sibirien zur Zwangsarbeit verbannt. Allein Gogol gelang es, sich durch die Zensur zu lavieren.

Mitnichten war es jedoch so, dass das literarische Leben – und damit das sozialkritische Denken – unterbunden wurde. Ungewollt hatte Nikolaus mit der Vernichtung der Dekabristen die Entwicklung eines besonderen Standes gefördert, der das ganze weitere soziale und politische Leben Russlands über die beiden Revolutionen 1905 und 1917, in der gesamten Sowjetzeit und bis heute (und wahrscheinlich auch in der Zukunft) bestimmen sollte: Die Intelligenzija, eine für Russland typische und auch nur hier vorhandene Gesellschaftsschicht, die auch gegen die politisch Mächtigen die Meinung im Volk beeinflusst und zumindest zeitweise das Gewissen des Volkes verkörperte.

Bei den vielen Sympathisanten der Dekabristen, die – man muss es immer wieder betonen – Adelige waren, verschwand zwar die aristokratische Vision von einer bürgerlichen Gesellschaft, sie kehrten jedoch nicht zu den alten aristokratischen Vorstellungen zurück, sondern suchten und fanden Gleichgesinnte in anderen Ständen – eine Entwicklung, die im Dienststaat Peters des Großen, in dem Besitz, Rang und damit auch Einfluss und Ansehen streng miteinander verbunden und reglementiert waren, nicht möglich gewesen wäre. Stieg (bzw. fiel) damals jemand aufgrund von Leistung in der offiziell so genannten „Rangtabelle“, so war damit Hinzugewinn (bzw. Verlust) von Besitz und Ansehen verbunden. Jeder war fest in seine „Klasse“ eingebunden. Jetzt aber verarmte einerseits der Adel durch Misswirtschaft und Verschwendungssucht und andererseits hatten Kaufleute und sogar Bauern (ja, teilweise sogar freigelassene Leibeigene) großen wirtschaftlichen Erfolg; erstere mussten sich „eine Arbeit suchen“, die nur auf kulturellem Gebiet liegen konnte (denn sie konnten nichts anderes), wohingegen die zweite Gruppe bestrebt war, ihr durch Besitz erworbenes Ansehen durch kulturelles Wissen zu festigen. Viele waren also aus ihrer eigentlichen sozialen Kategorie herausgefallen, ohne in eine andere aufgenommen zu werden, und hatten Zuflucht bei Bildung und Kultur gesucht. Sie wurden zunächst Rasnotschinzen (dt. Leute verschiedener Ränge) genannt, doch nachdem sie langsam immer mehr sozialkritisches Bewusstsein entwickelten, entstand die Bezeichnung „Intelligenzija“, die bis heute für eine Gruppe von Menschen mit Wissen, Ethik und sozialer Verantwortung steht. Das soziale Verantwortungsbewusstsein hat zu allen Zeiten (bis heute) dazu geführt, das die Intelligenzija nicht immer bequem für die jeweils Regierenden war und ist.

Schriftsteller haben schon immer dazu gehört, aber nicht sie allein, fast alle politisch relevanten Gruppen und später Parteien entwickelten sich aus dieser Schicht. Gefährlich für das Zarenreich sollte eine Untergruppe werden, die radikalen Sozialkritiker und späteren Sozialrevolutionäre, die terroristische Gruppen bildeten und Anschläge wie jenen auf Alexander II. verübten. Sie führten Russland in die beiden Revolutionen von 1905 und 1917 ...

Teil 2

So bedrückend und wirr das 19. Jahrhundert in Russland auch war, so „golden“, so ruhmreich, so glanzvoll (man könnte noch viele begeisterte Worte anfügen) war es in Literatur, Musik und Kunst. In der zweiten Hälfte kehrte sich die „Blickrichtung“ gar um: Hatte bisher das literarische Russland nach Westen geschaut, blickte jetzt der literarische (und nicht nur der literarische) Westen nach Russland. Die Übersetzungen der Werke von Puschkin, Lermontow, Gogol, Turgenjew und später von Dostojewski und Tolstoi wurden zu literarischen Ereignissen in ganz Europa. (Turgenjew lebte seit den 1860er-Jahren in Deutschland und Frankreich und hatte engen Kontakt zu Gustave Flaubert, Émile Zola, Theodor Storm, Paul Heyse, Berthold Auerbach und vielen anderen.) Nikolai Nekrassow und Anton Tschechow sind noch zu nennen.

Bei den Malern waren es u.a. Ilja Repin, Iwan Kramskoi und Wassili Perow, die Weltruhm erlangten.

Peter Tschaikowsky, Modest Mussorgski, Nikolai Rimski-Korsakow, Sergej Rachmaninow, Milij Balakirew, Alexander Borodin u.a. setzten Zeichen in der Musikgeschichte.

Bis Mitte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand, wie gesagt , die russische Literatur unter dem Einfluss der westlichen; und Anfang dieses Jahrhunderts ging auch hier die strenge Klassik in die gefühlvolle Romantik über. Bekannte Vertreter aus dieser Zeit sind Alexander Gribojedow (*1795, †1829) mit seiner Komödie Verstand schafft Leiden (1824) – auch er stand den Dekabristen nahe und wurde nur mit viel Glück und durch einflussreiche Fürsprache nach der Verhaftung wieder entlassen –; Wassili Schukowski (*1783, †1852), der zusätzlich einer der größten Übersetzer deutscher Klassiker und Romantiker war und später Erzieher von Alexander II. wurde; die Dekabristen Wilhelm Küchelbecker (*1796, †1846) und Alexander Bestushew (Marlinskij) (*1797, †1837) und viele andere.

Mit Alexander Puschkin (*1799, †1837) begann die Veränderung. Er befreite sich ganz bewusst vom westlichen Einfluss und begründete eine eigenständige russische Literatur. Dieser große russische Romantiker, (nicht nur in Russland) das „russische Genie“ genannt, ist bis heute die Symbolgestalt, auf die sich alle geistigen und politischen Richtungen Russlands einigen können. Die Sprache seiner Dichtung ist so typisch russisch und einzigartig, dass er noch heute zu den wenigen Weltliteraten gehört, deren Dichtung in ihrer ganzen Genialität schwer in eine andere Sprache zu übertragen ist. Im gleichen Atemzug aber muss man auch Michail Lermontow (*1814, †1841) nennen, und Nikolai Gogol (*1809, †1852), der – obwohl selbst kein Realist – für den Übergang in die nächste literarische Epoche, den russischen Realismus, steht; er ist der Vater der noch heute bestehenden russischen Groteske ...


siehe:

AlexanderPuschkin
AleksandrBestuzev
JoachimWinsmann
NikolajANekrassow


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© BücherWiki Community bzw. die jeweiligen Autoren zuletzt geändert am 8. Dezember 2008